„Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen“. Mit diesen Worten beschrieb der Schweizer Schriftsteller Max Frisch die Situation der fremden Arbeiter in Deutschland.
Durch das Wirtschaftswunder hier in Deutschland wurden Gastarbeiter aus den verschiedensten Nationen angeworben. Sie kamen nach Deutschland, um ihren Familien ein besseres Leben bieten zu können. Sie wollten genügend Geld für ihre Familien zusammen bekommen und danach in ihr altes Leben zurückkehren. Stattdessen bauten sich die meisten hier eine Familie auf, ein neues Leben, eine zweite Heimat. Doch werden sie immer die sein, die als Gastarbeiter herkamen? Sie waren fremd hier. Um diesen Zustand zu ändern, wurden Internationale Klassen an unserer Schule ganz selbstverständlich neben den deutschen Klassen eingeführt. Diese Klassen haben nie bei Schülern oder Eltern Ausländerfeindlichkeit ausgelöst.
Angefangen hat es 1976, als wir von der Artur-Kutscher-Realschule eine sog. Ausländerklasse mit 15 Schülern übernahmen. Leider schaffte nur ein geringer Prozentsatz sehr begabter Schüler auf Anhieb den Abschluss. Diese Schüler haben neben dem sprachlichen „Handicap“ auch eine Vielzahl persönlicher Probleme gehabt. Wir wollten Integration, aber nicht um jeden Preis, vor allem dann nicht, wenn sie zu einer Überforderung der Kinder und zu einer Anhäufung von Misserfolgserlebnissen führen würde. Integration und Förderung brauchen eben Zeit und sind nicht im „Hauruckverfahren“ zu erledigen.
Gastarbeiterkinder, Aussiedlerkinder, vietnamesische „Boatpeople“ und Kinder von Flüchtlingen aus Afghanistan oder dem Iran kamen bald auch aus dem weiteren Umland an unsere Schule. Konnte man diese Kinder einfach alle nach dem Motto „Vogel friss oder stirb!“ ihrem schulischen Schicksal überlassen? Man konnte und man musste es auch nicht.
„Gott sei Dank“, dass unser Vorhaben auf viel Verständnis und Unterstützung beim Schulreferat und im Stadtrat der LHM, beim Kultusministerium und beim Kulturpolitischen Ausschuss des Landtags fand. Wir durften unseren Schulversuch weiterführen. Schriftliche Eingaben und deren Bewilligung brachten häufige Unterrichtsbesuche der Verantwortlichen, denn man wollte ja sehen, ob das Geld für zusätzliche Unterrichtsstunden und Lernmittel sinnvoll angelegt war, ob Fortschritte zu verzeichnen waren. Erhebungen für eine wissenschaftliche Begleitung des Schulversuchs wurden von den Klassleitungen erstellt; Arbeitskreise am Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung sowie an der Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen bereiteten uns manches Kopfzerbrechen. Aber der Aufwand lohnte sich.
Viele unserer „Ehemaligen“ besuchen uns in ihrer Freizeit und versichern, dass ihnen „Nestwärme“ und Verständnis für ihre oft schwierige Situation sehr gut getan hätten. Gemeinsame Unternehmungen mit deutschen Klassen waren von Anfang an selbstverständlich, egal, worum es sich handelte, ob um Schullandheimaufenthalte, Skilager, Studienfahrten, Wander- oder Projekttage oder um die aktive Mitwirkung bei Theateraufführungen und Schulkonzerten, beim Erstellen der Schülerzeitung oder um die Vorbereitungen für den Schulfasching. Die bei solchen Anlässen geknüpften Kontakte zu deutschen Schülern werden weiter gepflegt, wie man als „pausenaufsichtführende“ Lehrkraft immer wieder beobachten kann. Wenn strenge Eltern islamischen Glaubens uns ihre Tochter anvertrauen, ist eben ein Stück Misstrauen gegenüber Fremden abgebaut, wenn Schüler einen Sachverhalt einsehen, anstatt ihn auswendig zu lernen, wenn sie vergleichen zwischen Bekanntem und Neuem, wenn sie Alternativen zum landesüblichen „Machogehabe“ verinnerlichen, sind das kleine, aber wichtige Schritte zu mehr Annäherung und Verständnis unter den Kulturen.
Heute, wo wir in unserem Land viele minderjährige Flüchtlinge haben, sind diese Klassen wichtiger denn je. Unsere Schule allein wird diesen Andrang nicht bewältigen, es müssen weitere Schulen diesen Schritt wagen.
Bergovec Stefan
Lesen Sie auch den Artikel in der Süddeutschen Zeitung anlässlich des 40-jährigen Bestehens der internationalen Klassen.